Finke geht durchs Quartier
…. es ist schon länger her, dass ich das letzte Mal in Mannheim war. Dies ist die einzige deutsche Stadt mit einem doch recht besonderen Straßensystem und entsprechenden Bezeichnungen. Straßennamen, wie B6, C7 oder J5 geben Aufschluss darüber, dass das Straßennetz wohl ein quadratisches ist, fast wie in New York. So etwas haben wir in Hamburg nicht, aber wir haben auch eine Besonderheit, die ABC-Straße und die Neue-ABC-Straße. Hier beginnt heute mein Weg durchs Quartier. Die Häuser in den beiden Straßen wurden Mitte des 17. Jahrhunderts nicht mit Nummern, sondern mit den Buchstaben des Alphabets gekennzeichnet, was zur Straßenbezeichnung führte.
Ich gehe den Valentinskamp hinunter Richtung Jungfernstieg, genieße den Blick über die Binnenalster, und biege dann rechts ab zum Rathaus. Traditionell ist der Platz gut gefüllt mit Touristen, und es macht Spaß, selbst einer in der eigenen Stadt zu sein. Machen Sie das auch mal, man entdeckt immer wieder Neues und Spannendes. Ganz Mutige mieten dazu sogar ein Hotelzimmer. Im Hof des Rathauses steht der Hygieia-Brunnen, der an die Choleraepidemie 1892 mit über achttausend Toten erinnert. Gediegene Atmosphäre dort im sonnigen Innenhof, es stören jedoch die Dienstfahrzeuge der Damen und Herren SenatorInnen.
Mein Weg geht Richtung Speicherstadt, ich stehe vor einem afrikanischen Krieger und den Elefanten des Afrikahauses. Kennt jeder Hamburger, aber die Erbauer des Kontorhauses, die Herren Woermann, waren üble Kolonialisten. Adolph Woermann bspw. war maßgeblich an der Errichtung der deutschen Kolonien in Afrika und dem Völkermord an den Herero und Nama beteiligt. Zu seiner Zeit war er zwar der größte deutsche Westafrikakaufmann, und für den Hafen Hamburg vermutlich recht relevant, sein Handeln aus heutiger Sicht war jedoch absolut indiskutabel und rassistisch.
Vorbei an der Speicherstadt geht es Richtung Landungsbrücken: Rechts liegt unser Haus Bei den Mühren 82, gebaut 1984, mit 22 Wohnungen und zwei Ladenflächen. Das Quartier wurde damals zusammen mit anderen Genossenschaften in einem Guss erstellt. Hier wohnt man richtig urban, genauso wie ein paar Meter weiter in der Englischen Planke. Dort stehen seit 15 Jahren 49 Wohnungen im Angesicht des Michels, und regelmäßig ist dort auch der Turmbläser zu hören. Ich werfe einen Blick in den Alten Elbtunnel und gehe die vielen Treppenstufen nach unten. Schöne Fliesen, schöne Porzellandetails begleiten mich auf meinem Fußweg unter der Elbe hindurch. Auf der anderen Seite hat man einen famosen Blick auf die Hafen-Skyline Hamburgs. Schön!
Neben mir sind die beiden etablierten Musicalbühnen zu finden, der König der Löwen läuft auch schon im x-ten Jahr. Fähren fahren hin und her, ab Steinwerder könnte ich den Rückweg antreten. Aber ich möchte noch zur Dependance des Museums der Arbeit weiter, den 50´er Schuppen. Warte ich auf den Bus, oder gehe gleich los? Schwierige Frage in diesem wenig fußgängerfreundlichen Umfeld. Aber der Weg ist nur knapp vier Kilometer lang, und so treffe ich auf historische Verladekräne, die alte Hafenbahn, aber auch das Segelschiff Peking. Faszinierend und beeindruckend. Die Ausstellung hat bereits offiziell geschlossen, aber Herumlaufen darf man anscheinend dennoch. So erwartet mich am Ende des Wegs ein neuer großartiger Ausblick auf die Stadt, hier vor allem die Elbphilharmonie.
Ich entscheide mich nicht mehr Richtung Elbbrücken und Berliner Tor zurückzugehen, sondern steuere die Veddel an. Ein in den 1920er Jahren gebautes Quartier für die damalige Arbeiterklasse. Kleine Wohnungen mit sehr schlichter Ausstattung, größtenteils ohne Sanitäreinrichtung. Der BVE ist hier nicht mit Wohnraum vertreten, aber andere Genossenschaften und die Saga sind vor Ort. In den vergangenen Jahrzehnten wurde hier intensiv investiert und modernisiert. Leider wurde dabei auch viel Historische beseitigt.
Arbeiter allein wohnen auf der Veddel jedoch schon lange nicht mehr, Studenten, hippe Paare mit Hang zum vermeintlich Exotischen, Menschen aus vielerlei Ländern, leben dort in guter Nachbarschaft. Eingezwängt zwischen Autobahn 255 und Bahnanlagen, durchquert von Hafenkanälen, ist die Geräuschkulisse auf der Veddel eine andere als bei einem meiner Quartiersgänge durch zum Beispiel den Hamburger Westen. Ich finde einen Kiosk, es gibt ein kühles Pils aus der Flasche. Die Seele kann ich als alter Ruhrgebietler hier sehr gut baumeln lassen. Dann trete ich den Heimweg mit der S-Bahnlinie 3 an, sie kommt – Überraschung - pünktlich.
Herzlich
Ihr Peter Finke