Von Prof. Dr. Torsten Bölting, Professor für Sozialwissenschaften, insbesondere Wohn- und Raumsoziologie, an der EBZ Business School GmbH, Geschäftsführer der InWIS Forschung & Beratung GmbH
Bereits zum vierten Mal haben Analyse & Konzepte immo.consult aus Hamburg und das Bochumer InWIS-Institut 2023 im Auftrag des GdW eine Studie zu den Wohntrends der Zukunft vorgelegt. Erneut wurde unter anderem mithilfe einer repräsentativen Mieter:innenbefragung ermittelt, was diese in Deutschland bewegt – und was das für Vermieter:innen bedeuten könnte. Man kann festhalten: Es wird nicht einfacher – für Mieter:innen und Wohnungsunternehmen. Aber in den Veränderungen stecken auch Chancen, zum Beispiel für die Gestaltung der Dekarbonisierung und neues Leben in gemeinschaftlich ausgerichteten Quartieren.
Krise: das Leben am Abgrund. Oder doch nicht?
Krisen bestimmen unseren Alltag. Gefühlt jedenfalls seit der Finanzkrise ab circa 2008 jagte eine Krise die nächste: Eurokrise, Klimakrise, Migrationskrise, Brexit, Corona und Krieg … Die Welt ist im Krisenmodus. Doch war früher wirklich alles besser? Gab es keine Krisen? Natürlich gab es die auch – einige erinnern sich noch an Suez-, Kuba- oder Ölkrise. Aber während es früher aus der Sicht vieler Menschen klare Fronten gab, ist das heute oft nicht so. »Gut« und »schlecht« lassen sich nicht mehr so einfach trennen, die Fragen sind komplexer geworden (oder werden in der Öffentlichkeit komplexer diskutiert). Das ist auch eine Folge gewachsener Erkenntnis. Im Grunde wissen wir heute alle, dass der Klimawandel stattfindet und durch menschliches Zutun ausgelöst oder zumindest verstärkt wird. Ein ahnungsloses Schulterzucken angesichts einer zunehmenden Wüstenbildung in Spanien und austrocknenden Böden in der Lausitz nimmt uns daher keiner mehr ab. Anders gesagt: wir müssen uns den Tatsachen stellen. Gleichzeitig merken wir, dass es eben nicht so einfach ist, die zahlreichen Krisen zu bewältigen. Die Welt ist komplexer geworden. »VUCA« nennen wir das Phänomen: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität beziehungsweise Mehrdeutigkeit. Klingt alles nicht so richtig beruhigend, entspricht aber leider der Realität. Aber keine Angst: Viele Menschen scheinen zwar etwas begriffsstutzig, die Spezies an sich ist aber doch anpassungsfähig. Wir können mit Krisen umgehen, wenn wir uns der Herausforderung stellen und sie nicht einfach leugnen oder durch »Protest-Kreuzchen« wegwählen wollen.
Kohle: zwischen Dekarbonisierung im Quartier und Ebbe im Portemonnaie
Kohle spielt hier eine zentrale Rolle – in jeder Hinsicht. Einmal wollen wir weg von der Kohle. Das ist kein grün-alternatives Gänseblümchengerede, das ist Mainstream. Die »Generation Greta« (nach Hurrelmann) und die Klimakleber »nerven« uns natürlich (ganz bewusst). Aber eigentlich wollen wir es alle: Die Notwendigkeit der Dekarbonisierung ist in weiten Teilen der Bevölkerung anerkannt. Wir wissen, dass wir nicht dauerhaft auf fossile Energie setzen können. Wir finden es noch nicht so gut, dass wir dafür auf manchen Komfort verzichten müssen. Daher klammern wir uns zum Beispiel an E-Fuels für den wummernden Achtzylinder.
Aber die »Wohntrends 2040« zeigen: 61 Prozent der Mieter:innen sehen die Klimaneutralität als wichtigste Herausforderung der nächsten Jahre an. 41 Prozent suchen schon jetzt nach ökologischen Wohnformen. Die Hälfte aller Mieter:innen wünscht sich mehr Informationen
- zu Energiekosten und
- zu CO2-Emissionen, die durch ihr Heizverhalten beziehungsweise in ihrer Wohnung entstehen.
Balkonkraftwerke, Mieterstrom und Windenergie – nur als Beispiel – sind begehrte Features. Die Mieterinnen und Mieter haben sich auf den Weg gemacht: weg von der Kohle.
Das Problem dabei ist: zu wenig Kohle. Die Dekarbonisierung der Gesellschaft kostet erst einmal unglaublich viel Geld – das Mieterinnen und Mieter nicht (mehr) haben. Mittlerweile nennen 15 Prozent der Mieterhaushalte, die einen Umzug planen, die gestiegenen Wohnkosten hierfür als Grund – im Vergleich zu nur fünf Prozent bei der letzten Wohntrends-Befragung 2018.
Wichtigste Umzugsgründe sind nachvollziehbarerweise eine veränderte Haushaltszusammensetzung (zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes), die Realisierung eines lang gehegten Wohnwunsches oder ein Jobwechsel zum Beispiel in eine andere Stadt. Aber direkt danach folgen die Kosten. Zu bedenken ist auch: Eine neue Wohnung (mit neuem Mietvertrag) in derselben Stadt wird in der Regel für die Haushalte deutlich teurer, wenn sie nicht viel kleiner ist als die alte Wohnung. Daher ist diese Veränderung ein Alarmzeichen: Vielen Haushalten geht das Geld aus!
Die knappe Kasse zeigt sich auch bei den Wohnwünschen. Viele Menschen hinterfragen ihre Wohnvorstellungen – und üben (notgedrungen) Verzicht: Während im Jahr 2018 noch 41 Prozent der befragten Haushalte eine »gehobene Badausstattung« als unverzichtbar bei der passenden Wohnung ansahen, sind es heute nur noch 33 Prozent. Auch Balkon oder Terrasse nennen nur noch 55 Prozent als wichtigen Faktor für die Wohnungswahl. Vor wenigen Jahren waren es noch 65 Prozent gewesen. Das liegt natürlich nicht daran, dass wir es plötzlich mit Freiraum-Muffeln zu tun hätten – vielen Haushalten fehlt schlichtweg das Geld und sie überlegen, wo sie sparen können.
Kreativ: neue Rezepte helfen Kosten zu sparen – und gegen die Einsamkeit
Eine Möglichkeit, (Wohn-) Kosten zu sparen, ergibt sich auch aus dem Flächenkonsum beziehungsweise der Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten im Quartier. »Gemeinschaft« heißt hier das Stichwort: Viele Dinge muss nicht jeder Haushalt selbst besitzen. Es reicht völlig, wenn ich mir die Bohrmaschine oder den Rasenmäher ausleihe, wenn ich sie brauche. »Sharing Economy« – davon sprechen Soziologen und Ökonomen schon seit Jahren. Doch was bislang eher als Nischenthema für neue urbane Milieus oder als »Machen wir doch schon immer!« der traditionellen dörflichen Lebensweise galt, erobert nun den Mainstream. Die »Bibliothek der Dinge« ist etwas, das sich fast die Hälfte der befragten Mieter:innen vorstellen kann. Ebenso viele hätten Interesse an einem Bewohnertreff, fast ein Drittel an Car-Sharing.
Dies ist ein Bereich, in dem vor allem Wohnungsgenossenschaften über viel Erfahrung verfügen. Das Teilen ist dort Prinzip; viele Genossenschaften haben zum Beispiel Gästewohnungen, die sie auch für die temporäre Nutzung ihren Mitgliedern überlassen. Wenn Oma oder Enkel also nur ein paar Tage im Jahr zu Besuch kommen können, braucht man dafür kein eigenes Gästezimmer. Viele dieser Angebote können jedoch noch einen weiteren Zweck erfüllen. Denn die aktuelle »Wohntrends 2040«-Studie weist auch auf ein zunehmendes gesellschaftliches Problem hin: die wachsende Einsamkeit. Einsamkeit ist zwar ein subjektives Empfinden, gilt aber dennoch als wichtiger Risikofaktor für viele Erkrankungen, zum Beispiel des Herz-Kreislaufsystems und der psychischen Gesundheit.
Dreisam, zweisam, einsam: Einsamkeits-Pandemie
Ein Viertel der Mieterinnen und Mieter in Deutschland fühlt sich einsam. Das ist eine bemerkenswerte Zahl. Fast ebenso viele Menschen sagen, sie hätten keine oder nur wenige Personen, die ihnen nahestehen. Das können wir nicht einfach so hinnehmen. Nicht nur wegen des höheren Risikos für ernsthafte Erkrankungen, sondern auch weil einsame Menschen häufiger auf Unterstützung und soziale Hilfen angewiesen sind.
Hier kommen Wohnungsunternehmen und -genossenschaften ins Spiel. Sie können durch entsprechende Angebote dazu beitragen, Einsamkeit vorzubeugen und sie zu bekämpfen. Auch in Fällen von Einsamkeit können sie sich bemühen, den Mieterinnen und Mietern zu helfen und für sie ansprechbar zu sein. Hier haben Genossenschaften mit den Vertreter:innen und einer generellen Nähe zu den Mitgliedern einen Startvorteil. Gleichzeitig liegt darin eine gute Chance, sich nicht nur als Anbieter preiswerten Wohnraums zu profilieren, sondern das Angebot, um »Lebensqualität« und »Gemeinschaft« zu erweitern.
Das Wohnen ist im Wandel – und wird es bleiben. Die Nachfrage nach Wohnungen verändert sich weiter, externe Faktoren wie der Klimawandel oder der demografische Wandel tun ein Übriges. Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften sind wichtige Akteure, die dabei helfen, diesen Wandel zu gestalten.
Prof. Dr. Torsten Bölting
Quelle: Geschäftsführer der InWIS Forschung & Beratung GmbH