Die Erwartungen übertroffen: energetische Quartiersentwicklung in Hamburg-Iserbrook
28. März 2022Dieser Artikel ist ein Fachartikel aus dem Medium "Die Wohnungswirtschaft". Alle Rechte (inkl. Bilder) liegen bei der Redaktion.
Energieeffizienz ist gerade im Bestand eine große Herausforderung. Der Bauverein der Elbgemeinden eG (BVE) modernisiert nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze Quartiere. Dass sich das lohnt, beweisen die ersten Auswertungen.
Am Heidrehmen in Hamburg-Iserbrook hat der BVE 830 Wohnungen. Hier führte er von 2018 bis 2021 seine erste energetische Quartiersentwicklung durch. Die Maßnahmen sollten ökologisch nachhaltig sein, gleichzeitig sollten die Bewohnerinnen und Bewohner dadurch finanziell möglichst wenig belastet werden.
Bei dem Projekt arbeitete der BVE mit dem städtischen Energieversorger „Hamburg Energie“ sowie mit der Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft zusammen. Es wurden ein neues Nahwärmenetz von insgesamt 2,3 Kilometern Länge verlegt und ein zweites Blockheizkraftwerk errichtet. Außerdem ergänzte der BVE im Heizhaus vor Ort zwei Brennwertkessel, eine Wärmepumpe sowie eine Power-to-Heat-Anlage. Diese wandelt bei Bedarf Strom in Wärme um. Außerdem installierte der BVE eine kleinere solarthermische Anlage auf einem der Dächer, um Spitzenlasten auszugleichen. Auf diese Weise kann die benötigte Energie für das Quartier jetzt vor Ort erzeugt werden. Überschüsse werden in das öffentliche Netz eingespeist.
Denken statt dämmen
Zum Maßnahmenpaket gehörten auch ein hydraulischer Abgleich der Heizungen in den Häusern, Dachdeckendämmungen, die Sanierung der Grundsiele sowie der Austausch einiger Fenster. Außerdem verlegte der BVE Schächte und Leitungen für die Ausstattung des gesamten Quartiers mit Elektro-Ladestationen. Gedämmt wurden nur drei Häuser mit insgesamt 240 Wohnungen.
Die Kosten für die energetische Modernisierung beliefen sich auf insgesamt rund 4,5 Millionen Euro. 450.000 davon erhielt der BVE als Förderung. Im Vergleich zu einer herkömmlichen Modernisierung ist das günstig: Die komplette Dämmung aller Wohnungen hätte schätzungsweise mehr als 20 Millionen Euro gekostet. Das wiederum hätte höhere Mieten für die Bewohnerinnen und Bewohner bedeutet. Jetzt bleiben nicht nur die Wohnungen bezahlbar, auch die allgemein steigenden Wohnkosten können abgefedert werden. Hier zeigt sich: Man muss nicht alle Häuser dämmen. Die Klimaziele lassen sich auch anders erreichen: mit intelligenten haustechnischen Lösungen und einer Erneuerung des Nahwärmenetzes mit hochgedämmten Materialien.
17,14 Prozent Einsparung bei fossiler Wärme
2021 ließ der BVE die Ergebnisse der energetischen Quartiersentwicklung am Heidrehmen erstmals durch externe Gutachter auswerten. Betrachtet wurden dabei die Werte für das erste Halbjahr 2021. Das Ergebnis: Das selbst gesetzte Ziel, 13,55 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 2014 bei der fossilen Wärme einzusparen, wurde mit einer Einsparung von 17,14 Prozent deutlich übertroffen. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Bewohnerinnen und Bewohner im Coronajahr sehr viel Zeit zu Hause verbracht und demzufolge auch mehr geheizt haben dürften.
Die Stromerzeugung vor Ort ist durch das zusätzliche Blockheizkraftwerk stark gestiegen, dass schlägt sich positiv auf die CO2-Bilanz nieder. Der Emissionsfaktor Wärme nach dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) konnte von 222 [gCO2,äqu/kWhth] auf 52 [gCO2,äqu/kWhth] reduziert werden.
„Hamburg hat sich für die Energiewende und für den Klimaschutz viel vorgenommen. Gerade bei der Wärmeversorgung gibt es noch viel zu tun, um Energie effizienter zu nutzen, erneuerbare Energien einzusetzen und klimaschädliches CO2 einzusparen. Das Engagement des BVE und das Projekt im Heidrehmen-Quartier sind beispielhaft dafür, wie das gelingen kann“, kommentiert Jens Kerstan, Hamburgs Senator für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft das Projekt.
Ein Mobilitätshub bindet den Sektor Verkehr ein
Um auch den Sektor Verkehr in die energetische Quartiersentwicklung einzubinden, eröffnete der BVE im September 2021 am Heidrehmen seinen ersten Mobilitätshub. Im Beisein des Hamburger Senators für Verkehr und Mobilitätswende, Dr. Anjes Tjarks, stellte er das neue Angebot mit
- zwei stationsbasierten, elektrischen Carsharing-Fahrzeugen von cambio,
- einer Ladesäule für E-Autos,
- zwei E-Lastenrädern von sigo und
- einer StadtRAD-Station mit 16 Fahrrädern
vor. Weitere Fahrradständer erleichtern den Umstieg vom eigenen Rad auf ein Sharing-Fahrzeug. Darüber hinaus gibt es eine Reparaturstation, um kleinere Schäden am Fahrrad schnell reparieren zu können. So soll der Verzicht auf den eigenen Pkw erleichtert werden, was wiederum den individuellen CO2-Verbrauch reduziert.
Besonderes Highlight des Mobilitätshubs ist ein öffentlicher Kühlschrank zum Teilen von Lebensmitteln. Diesen betreibt und bestückt der Verein Foodsharing e.V. Ergänzt wird das Angebot durch eine Paketstation. Für diesen Mobilitätshub wurde der BVE 2021 mit dem Deutschen Immobilienpreis in der Kategorie „Green Project“ ausgezeichnet.
Die nächste Quartiersentwicklung: Abwärme intelligent nutzen
Aktuell plant der BVE die nächste energetische Quartiersentwicklung am Schenefelder Holt in Hamburg-Iserbrook. Hier hat er knapp 700 Wohnungen. Für dieses Quartier haben der Bezirk Hamburg-Altona und die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft eine Studie in Auftrag gegeben, um die Potenziale vor Ort auszuloten. Dabei ist ein ganz neuer Ansatz entstanden, um den Anteil der regenerativen Energie zu erhöhen: Nur knapp einen Kilometer von den Wohnungen entfernt liegt das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY), das als Forschungszentrum mehrere Teilchenbeschleuniger betreibt. Deren Abwärme könnte genutzt werden, um die Häuser am Schenefelder Holt mit Wärme zu versorgen. Insgesamt gibt es im Quartier rund 1.500 Wohnungen. Berechnungen zeigen, dass es möglich sein müsste, 50 bis 60 Prozent der benötigten Wärme dafür aus der Abwärme des DESY zu gewinnen. Kombiniert werden soll diese Art der Wärmegewinnung mit Blockheizkraftwerken und Wärmepumpen vor Ort. So ist es möglich, zu akzeptablen Preisen zu einem hohen Anteil erneuerbarer Energien zu kommen. Daneben wird der BVE prüfen, wie der Energieverbrauch in den Häusern noch weiter gesenkt werden kann. Wo es notwendig war, wurden bereits Teile des Quartiers gedämmt.
Der zweite große Bestandshalter vor Ort ist das kommunale Hamburger Wohnungsunternehmen SAGA. Gemeinsam mit der SAGA wird der BVE die Vorschläge prüfen und – wenn sinnvoll – am Schenefelder Holt ein großes neues Wärmenetz schaffen. Zusätzlich muss ein Partner aus der Energiewirtschaft einbezogen werden – so wie es auch am Heidrehmen der Fall war. Die entsprechenden Planungen könnten bereits 2022 beginnen.
Fazit:
Die Ergebnisse der energetischen Quartiersentwicklung am Heidrehmen zeigen: Es ist der richtige Weg, das Quartier – nicht nur einzelne Häuser – in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Dabei gibt es keine 08/15-Lösungen und es sind große Quartiere notwendig, damit die Maßnahmen wirtschaftlich Sinn ergeben. Jedes Quartier ist gesondert zu untersuchen und bringt unterschiedliche Potenziale mit. Je nachdem, wie die Bestände verteilt sind, können auch Kooperationen mit anderen Wohnungsunternehmen sinnvoll sein. Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen und den Energieversorgern notwendig.
Autor: Axel Horn, Vorstand BVE