Intelligent wachsen und den Bestand pflegen
Dieser Artikel ist eine Veröffentlichung aus unserem Geschäftsbericht 2019.
Wie werden wir in 20 oder 30 Jahren wohnen? Sind die Bedürfnisse von morgen andere als die von heute? Über Fragen wie diese diskutierten Michael Wulf und Axel Horn aus dem BVE-Vorstand, Sabrina Karger für den Bereich Grundstücksentwicklung und Finanzierung, Christopher Löwenberg, Handwerker im Servicebetrieb, Romina Moffitt aus der Vermietung sowie Cornelius Zerwig aus dem Technischen Bestandsmanagement.
Meinen Sie, dass sich das Wohnen in den nächsten 20 bis 30 Jahren grundlegend verändern wird?
KARGER: Die Services um das Wohnen herum werden vielfältiger – gerade im Hinblick auf das Wohnen im Alter.
MOFFITT: Ich denke, dass das Wohnen smarter und digitaler sein wird.
WULF: In unseren Wohnungen ist ein leistungsfähiger Breitbandanschluss, im Neubau mit Glasfaser, schon jetzt Standard. In diesem Bereich wird noch sehr viel passieren.
Was ist charakteristisch für den Grundriss der Zukunft?
HORN: Nach unserer Erfahrung ändert sich in dieser Hinsicht gar nicht so viel. Eigentlich kommt man immer wieder zurück auf bewährte Grundrisse, wie es sie sogar schon in den Gründerzeithäusern gab: möglichst mit kommunikativen Wohnküchen und einer Trennung von Wohn- und Schlafbereich beispielsweise.
WULF: Generell möchten die meisten Menschen funktionale, gute und vor allem bezahlbare Wohnungen haben – auch in Zukunft.
LÖWENBERG: Je älter die Menschen werden, desto weniger wollen sie, dass sich irgendetwas in ihrer Wohnung verändert. Die Wände, die Bäder, die Küchen: Das soll lieber alles so bleiben, wie es ist.
WULF: Einen Zielkonflikt sehe ich bei den Wohnkosten. Die derzeit durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf liegt in Hamburg bei 45 Quadratmetern. Das ist viel. Gleichzeitig soll das Wohnen auch in Zukunft bezahlbar bleiben.
HORN: In ein paar Jahren wird es deutlich mehr Rentnerinnen und Rentner in Deutschland geben, die nicht das Geld für eine große Wohnung haben. Deswegen müssen wir über kleinere Grundrisse nachdenken. Downsizing heißt das Stichwort. Als Ausgleich dafür könnte es zum Beispiel im Erdgeschoss Sharing-Bereiche geben, in denen man sich trifft oder Besuch empfängt.
Wie bereiten Sie Ihre Bestände auf den demografischen Wandel vor?
ZERWIG: Im Neubau bauen wir standardmäßig barrierarm. Auch bei Modernisierungen versuchen wir, das – so gut es geht – umzusetzen. Klar ist: Die Renten werden nicht exorbitant steigen, die Bezahlbarkeit des Wohnens spielt eine große Rolle. Allein aus diesem Grund werden die Wohnungen nicht mit Hightech ausgestattet sein.
HORN: In Iserbrook bieten wir bereits Service-Wohnen für ältere Menschen an. Das wollen wir künftig auch an unseren anderen großen Standorten tun.
WULF: Das Charmante an dem Modell ist, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner aussuchen können, wie viel Service sie in Anspruch nehmen. Der eine braucht wirklich Pflege, die andere möchte vielleicht nur die Ausflüge mitmachen.
Was tun Sie darüber hinaus, um Ihre Häuser zukunftsfähig zu machen?
ZERWIG: Im Grunde unterscheiden wir zwei Typen von Maßnahmen. Einerseits schauen wir, was wir im Gebäude tun können – für den Abbau von Barrieren und im Hinblick auf die Haustechnik. Andererseits gucken wir uns an, wie das Gebäude im Straßenbild und im Stadtbild steht.
HORN: Wir setzen vielfältige Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen um. Die Eingangsbereiche sind zum Beispiel oft ein wichtiges Thema. Die möchten wir attraktiv, zeitgemäß und barrierearm gestalten.
WULF: Das hat viel mit Wertschätzung gegenüber den Mitgliedern zu tun.
HORN: Ein anderes Ziel ist der Klimaschutz. Hierfür setzen wir im Bestand diverse Maßnahmen um, zum Beispiel neue Fenster, neue Dächer oder Dämmungen. Rund 9.000 unserer rund 14.000 Wohnungen werden mit Kraft-Wärme-Kopplung versorgt. Dabei werden Wärme und Strom im selben Prozess produziert. Insofern sind wir gut aufgestellt, um die Klimaziele der Stadt zu erreichen.
ZERWIG: Für die Mitglieder ist meistens aber entscheidend, wie sich die Maßnahmen auf die Wohnkosten auswirken. Deshalb sind kleinere Maßnahmen wie eine Kellerdeckendämmung oft sinnvoller als sehr aufwendige Modernisierungen.
Welche Ansprüche haben die Bewohnerinnen und Bewohner heute an die Ausstattungen ihrer Wohnungen?
LÖWENBERG: Wenn die Menschen älter werden, ist eine bodengleiche Dusche sehr oft das Thema.
WULF: Auch unsere Mitgliederbefragungen zeigen, dass Bad- und Küchenmodernisierungen ganz oben auf der Wunschliste stehen. Deshalb bieten wir den Einbau neuer Bäder und Küchen auch in bewohnten Wohnungen an.
Haben die Menschen andere Anforderungen an die Sicherheit?
HORN: Eigentlich nicht. Wir haben vor einigen Jahren damit begonnen, die Häuser vorzurüsten für den Einsatz von Haustürkameras. Aber die Nachfrage danach liegt nahezu bei null.
ZERWIG: Die Nachfrage nach Panzerriegeln ist gestiegen, seit wir diese im Ausstattungspaket haben. Das heißt: Wir stellen den Riegel zur Verfügung und bauen ihn ein, das Mitglied zahlt dafür einen Zuschuss und am Ende übernehmen wir die Ausstattung wieder.
KARGER: Für das Sicherheitsgefühl spielt das Licht eine wichtige Rolle. Deshalb achten wir auf beleuchtete Eingänge und Treppenhäuser.
MOFFITT: In der Vermietung hören wir oft, dass die Menschen keine Erdgeschosswohnung möchten, weil sie sich dort weniger sicher fühlen.
Wie entwickeln sich die Nachbarschaften?
ZERWIG: Ich bin oft in den Wohnungen und spreche mit den Leuten. Gerade bei den Jüngeren, die in den letzten zwei bis drei Jahren eingezogen sind, habe ich das Gefühl: Die interessieren sich für die Hausgemeinschaft und wollen an der Nachbarschaft teilnehmen.
LÖWENBERG: Im Neubau funktioniert es besonders gut, dass die Menschen schnell miteinander in Kontakt kommen. Wenn dort zum Beispiel mehrere Familien einziehen, sind die alle in einer ähnlichen Lebensphase. Da kommt man automatisch ins Gespräch.
WULF: Zum Beispiel im MARTINI44 im ehemaligen Bethanien-Krankenhaus haben die Bewohnerinnen und Bewohner bereits dieses Jahr kurz nach Einzug allein ein Nachbarschaftsfest auf die Beine gestellt. Das finden wir auch super.
Gibt es einen Trend zu besonderen Wohnformen?
HORN: Baugemeinschaften sind schon heute ein fester Bestandteil der Stadt und werden sicher auch in Zukunft ein Thema sein. Bei uns haben sie sich gut integriert. Deshalb werden wir bald auch einmal eine Baugemeinschaft aus der Mitgliedschaft des BVE heraus entwickeln.
KARGER: Diese und andere besondere Wohnformen – wie zum Beispiel Wohnungen für Menschen mit Assistenzbedarf – gehören oft zu den Bedingungen für den Kauf städtischer Grundstücke, weil die Zielgruppen ansonsten Marktzugangsschwierigkeiten haben. Das wird so bleiben, solange der Markt so angespannt ist wie im Moment.
HORN: Wichtig ist, dass diese Wohnungen nicht irgendwo isoliert sind, sondern mittendrin.
Wo sehen Sie den BVE in 20 oder 30 Jahren?
WULF: Wir wollen an den richtigen Standorten wachsen, aber nicht um jeden Preis. Gleichzeitig müssen wir den Bestand pflegen und dort einen guten Standard halten. Das klingt etwas langweilig. Aber ich glaube nicht, dass es langweilig ist, in Hamburg 14.000 Wohnungen als Genossenschaft zu haben und dauerhaft sowie zeitgemäß zu unterhalten. Das hat viel mit Kontinuität zu tun.
HORN: Dadurch, dass die Menschen immer älter werden, werden sie immer mehr Zeit in ihren Quartieren verbringen. Darauf müssen wir unsere Bestände vorbereiten. Wir haben schon damit angefangen, aber wir haben noch viel vor uns.
Und intern?
WULF: Intern wird es sicherlich mehr Digitalisierung geben. Aber wir müssen den Spagat hinbekommen zwischen dem Persönlichen und der Technik. Beispiel Vermietungsprozess: Den kann ich heute schon komplett digital organisieren. Die Frage ist aber: Wollen wir das? Oder wollen wir nicht doch lieber auch zum Teil im persönlichen Gespräch die Fragen klären? Andererseits gibt es Vorgänge, die immer gleich sind und die man sehr gut digitalisieren kann. Da liegt ein großes Potenzial.
MOFFITT: Es macht den BVE aus, dass wir wirklich für unsere Mitglieder da sind. Das soll auch in Zukunft so sein. Wir sehen das in der Vermietung. Es ist total wichtig, die Menschen kennenzulernen, damit man weiß: Passen sie in die Wohnanlage?
KARGER: Auch für die Gestaltung der Quartiere und der Nachbarschaften brauchen wir den persönlichen Kontakt.
Wohin steuert die Stadtentwicklung? Welche Konzepte sind gefragt?
WULF: Der BVE hat in den vergangenen Jahren stark von den Konzeptvergaben für Grundstücke der Stadt profitiert. Bei diesen Vergaben zählt zu 30 Prozent der gebotene Preis und zu 70 Prozent das Konzept. Im Moment haben wir aber den Eindruck, dass Investoren mit sehr viel Geld auf diese Grundstücke mitbieten. Da können wir preislich nicht mithalten. Diese Entwicklung betrachten wir mit Sorge, weil man nicht weiß, was in 20 Jahren mit den Immobilien passiert.
KARGER: Die Vorgaben für die Grundstücksvergaben werden enger und die Baukosten steigen. Insofern wird es für uns als Genossenschaft schwieriger, gute Grundstücke zu bekommen.
Welche Stadtteile werden sich besonders stark weiterentwickeln?
MOFFITT: Natürlich wird sich die HafenCity weiter etablieren. Durch deren Erweiterung könnte sich das Zentrum etwas in Richtung Südosten verlagern.
WULF: Es wird auch nicht gelingen, aus jedem Stadtteil einen Schwan zu machen. Stadtteile wie zum Beispiel Rothenburgsort und Wilhelmsburg sind allein durch ihre Nähe zur Stadtmitte attraktiv. Trotzdem ist es ein langer Weg, bis daraus das »neue Ottensen« wird.
HORN: Ich halte es für richtig, was die Stadt jetzt vorhat, nämlich die Weiterentwicklung der Magistralen. Die sind bisher wirklich keine Highlights. Der BVE wird sich weiterhin alles, was innerhalb des Rings 2 liegt, anschauen. Denn es kann durchaus sein, dass in 30 oder 40 Jahren die Nachfrage nicht mehr so groß ist wie heute. Dann wird es an den Rändern der Stadt eventuell schwieriger.
ZERWIG: Die BVE-Immobilien sind so, dass man sehr gern lange darin wohnt. Die Wohnungen haben gute Grundrisse, einen hohen Standard und sind super angebunden. Insofern denke ich, dass wir für die Zukunft gut aufgestellt sind – auch in den Randlagen.